Lago di Como II
2007, 90 x 70 cm

ÜBER | NATUR

Christoph Beers fotografische Arbeiten ÜBER | NATUR fokussieren auf philosophische Fragestellungen, die in ihrer Beantwortung klassische Funktionszuweisungen der Fotografie zunehmend auflösen. Denn er befördert neben dem Medium Fotografie zugleich eine autonome Kunstform Fotografie. Arbeiten, in denen der Wille zur reinen Fotografie deutlich wird, stellt er fotografischen Bildern gegenüber, deren Existenz der Vorstellungskraft des Künstlers, seiner Experimentierlust, eines Drangs zur transformatorischen Umschreibung und zur digitalen Bearbeitung entspringen.

Er huldigt so einem oder dem entscheidenden Augenblick, le moment dŽcisif (Henri Cartier-Bresson), und lässt ihn - über die Natur der reinen Fotografie hinausgehend - zugleich hinter sich, wenn fotografische Konturen verschwimmen (Die Beständigkeit der Veränderung I), das Ungleichzeitige gleichzeitig erscheint (in|dividuum) und schließlich vorgestellte oder experimentell gefundene alternative Bilderwelten (Handworks) entstehen. Dabei schließt Christoph Beer mit dem Begriffspaar ÜBER | NATUR, die inhaltliche Komponente dargestellter und geschaffener Bildmotive ein. In der Fotografie Lago di Como II ist es die vollkommene Schönheit der Natur, die eine Übernatur eines göttlichen Schöpfers erahnen lässt. Nahezu übernatürlich mutet dann auch das Strahlen an, das sich durch blaugraue Wolken ergießt, im Raum Distanz erzeugt und auf Bildelemente verweist. Die Natur als Bedingung für Übernatürlichkeit bezieht spirituelles und irdisches Menschsein ein. Erst in Anbindung und Abgrenzung an seine Existenz kann ÜBER | NATUR als Übernatur fotografisch kommuniziert werden.

Insofern gestaltet Christoph Beer seine Aufnahmen in der Tendenz des fotografischen Visualismus. Zurückhaltend in ihrer Expressivität teilen wenige große Flächen die Komposition, bestimmen geometrische Formen, einfache Symbole sowie Ausschnitte und Farbkorrespondenzen das Bild. Scheinbar Nebensächliches wird Bedeutungsträger wie die entwurzelten Finger einer Hand. Nahezu beiläufig erinnert Handworks an das Heraustreten des Menschen aus einer Übernatur, Leben spendendes Sonnenlicht, Erkenntnis bringendes Licht und kreative Schöpferkraft im Bild eines (Finger-)Rades. Fotografie bildet hier nicht mehr nur ab, vielmehr ist sie jetzt bildgebende Kunstform. Durch die Nutzung hybrider Systeme eröffnen sich Christoph Beer ungeahnte gestalterische Möglichkeiten. Dabei beunruhigen die bearbeiteten und manipulierten Realitätsfragmente. Die fotografischen Bildfindungen irritieren die Sehgewohnheiten mit Formen, die schaurig und ornamental "genügend Angriffspunkte (bieten), um das Lager der Betrachter zu spalten" (C. Beer). Darüber hinaus scheint es, dass zudem und vor allem die Entwurzelung erschreckt. Authentizität scheint verloren. Christoph Beers computergestützte Bildgestaltungen müssen Glaubwürdigkeit anders begründen.

So weisen gerade seine Handarbeiten auf eine Wahrheit hin, die - weg von erzählenden Reihungen, Fotosequenzen und -serien - 7000 Jahre Kultur in einem einzigen Bild zelebriert. ÜBER | NATUR heißt bei Christoph Beer also, außerordentlich sinnfällig scheinbar Unmögliches zu erfassen, Ideen fotografisch unvoreingenommen zu gestalten und frei ÜBER | NATUR zu gehen. Wenn das Ornamentale in der Handarbeit von Christoph Beer die natürlichen Linien von Haut, Adern und Sehnen vergessen macht, durch neue Formen ersetzt, dann muss die Identität des Fotografen das Bedürfnis nach Glaubwürdigkeit stillen. Zwangsläufig führt das frontal-profiliert zum in-dividuum selbst, zurück zur Natur, die in konstruierten Teilen zusammengefasst, Ausschnitte ihrer Selbst reflektiert.

Christoph Beers ÜBER | NATUR zeigt in beeindruckender Weise den Weg des Fotografen auf der Suche nach einem ihm angemessenen, authentischen Ausdruck. Mutig beschritten, lotet er mit erstaunlich glaubwürdiger Stringenz die Möglichkeiten des Mediums Fotografie und zugleich der aus ihr erwachsenen apparativen autonomen Kunstform für sich aus.

Ute Reinhöfer